
Es gibt einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, der so lange nicht weiter auffiel, bis Menschen (immer noch meist Frauen) neben der Sorgearbeit für Kinder, behinderte Menschen, alte Menschen etc. auf den Arbeitsmarkt drängten.
Dabei gibt es folgende Aspekte:
- Die Sorgearbeit war lange Frauenarbeit, daher wird sie weniger geschätzt.
- Die unbezahlte Sorgearbeit findet im Privaten statt und kommt erst langsam ins Blickfeld von Wirtschaft und Gesellschaft.
- Aus Gerechtigkeitsgründen, um wirtschaftlich unabhängig zu ein, aber auch um den Unterhalt der Familie zu sichern, werden immer mehr Frauen erwerbstätig.
Dabei leidet die private Sorgearbeit, was z.B. die ständigen Vorwürfe an Eltern beweisen, wenn sie ihre Kinder nicht vom ungezügelten Medienkonsum abhalten, sie nicht zum Lesen bringen, ihnen kein Frühstück machen … - Die private Sorgearbeit wird in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht berücksichtigt. Die staatlichen Ebenen verstehen Ausgaben, die in Richtung Pflege, Erziehung (auch Schulen) und Soziales gehen, als Belastung und nicht als Grundlage einer florierenden Wirtschaft.
- Aufgrund der tradierten Geringerschätzung der Care-Bereiche sind die Arbeitsbedingungen und Einkommensmöglichkeiten in diesen Berufen oft unattraktiv. So ging die Pflege- und Erziehungsausbildung noch bis vor kurzen rein vollzeitschulisch vonstatten, also ohne Ausbildungsvergütung; inzwischen gibt es glücklicherweise immer mehr praxisintegrierte Ausbildungsangebote (PIA) mit einer Ausbildungsvergütung, wie sie z.B. im Handwerk überhaupt keine Frage ist.
- Die bezahlte Sorgearbeit ist schlecht organisiert (Beispiele: Personalmangel in Kindertagesstätten und bei der ambulanten Pflege). Deshalb funktioniert auch die Erwerbstätigkeit vor allem von Frauen nur unzulänglich. Damit verschärft sich der Arbeits- und Fachkräftemangel insgesamt.
- Das schadet der Wirtschaft und führt zum Gender-Pay-Gap, der den Gender-Pension-Gap bewirkt. Beide Gaps treiben staatliche Transferleistungen in die Höhe.
Diese Liste lässt sich fortführen. Die Probleme sind bekannt und werden auch immer wieder einzeln in Angriff genommen. Abgesehen davon, all dies pauschal als patriarchalisch abzuurteilen, werden bereits Möglichkeiten diskutiert, den zugrunde liegenden Fehler im System zu beheben.
In unterschiedlichen Ausprägungen fordern UN-Women, die ILA (International Labor Organisation) oder die OECD eine Care- oder Caring-Economy. Spätestens seit der Covid-19-Pandemie sprechen die UN von einer Purple Economy als Care Economy+.
Zum Weiterlesen:
Equal Care und Equal Pay – höchste Zeit, die Lücken zu schließen!
Internationale Konferenz von UN Women Deutschland in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Internationalen Arbeitsorganisation am 7. September 2022: unwomen.de/konferenz-2022/
#CloseEconDataGap
In der gleichnamigen AG haben sich verschiedene Wissenschaftlerinnen zusammengeschlossen, um die ökonomischen Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern zu beziffern und die ökonomische Datenlücke zu schließen, damit die großen finanziellen Zusammenhänge für Deutschland beleuchtet werden können: www.closeecondatagap.de
Wirtschaft ist Care
So nennt sich eine postpatriarchale Denk- und Handlungswerkstatt mit Sitz in Deutschland und der Schweiz. Ihre Überzeugung ist, dass eine zukunftsfähige Wirtschaft Care in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen muss. Damit ist sie ein Teil der weltweiten Bewegung für eine care-zentrierte Ökonomie. Auf ihrer Website findet sich eine lange Link-Liste: wirtschaft-ist-care.org/netzwerke/
Riane Eisler: The Real Wealth of Nations. 2008
In ihrem Buch zeigt die international anerkannte Systemwissenschaftlerin, wie falsche Grundannahmen über Jahrtausende entstanden, welche Folgen sie haben und wie ein nachhaltiges und menschengerechtes (Wirtschafts-)System aufgebaut werden könnte. 2020 ist eine deutsche Fassung erschienen: Riane Eisler, Die verkannten Grundlagen der Ökonomie, Wege zu einer Caring Economy, Büchner Verlag Marburg 2020, 234 Seiten, 22 Euro.
Dazu gibt es am Samstag, 05.10.2024, 11 – 13 Uhr, in Köln ein AKF-Herbsttreffen mit der Initiatorin und Übersetzerin der deutschen Fassung, Ulrike Brandhorst. Mehr dazu →
Care-Arbeit
Der Wikipedia-Beitrag berücksichtigt auch politische Aspekte: de.wikipedia.org/wiki/Care-Arbeit
Vom toxischen Mutterideal
„Das Mutterideal ist das toxische Vorbild für alle pflegenden, betreuenden und sozialen Berufe. Weil wir von der Mutter die Selbstaufgabe verlangen, verlangen wir sie auch von Krankenpfleger:innen, Sozialarbeiter:innen und Lehrer:innen. Untermauert von unseren biologistischen wie auch christlich geprägten Erzähltraditionen von Barmherzigkeit und naturhaft weiblicher Selbstaufopferung, wie sie prototypisch die Jungfrau Maria verkörpert, haben wir gelernt, diesen fundamentalen Gegensatz von bedürfnislosen Sorgenden und bedürftigen Umsorgten als eine Tatsache anzuerkennen. Die meist weiblich gedachte Pflegende ist willig für die Bedürfnisse anderer da, ohne eigene Bedürfnisse zu haben.“ Quelle: Sarah Diehl: Was das Mutterideal mit dem BurnOut von Pflegepersonal zu tun hat. 19. Mai 2024. in: Geschichte der Gegenwart